Die Kennzeichnungslücke bei Kaugummi
Wer im Supermarkt zur Packung Kaugummi greift, macht sich vermutlich keine großen Gedanken über die Herkunft der enthaltenen Zutaten. Dabei steckt hinter den bunten Verpackungen eine erstaunlich undurchsichtige Produktionskette, die sich oft über mehrere Kontinente erstreckt. Während bei frischen Produkten wie Obst, Gemüse oder Fleisch klare Herkunftskennzeichnungen längst Standard sind, bewegen sich Kaugummihersteller in einer rechtlichen Grauzone. Die EU-Lebensmittelinformationsverordnung verlangt zwar detaillierte Zutatenlisten, doch konkrete Herkunftsangaben sind nur in Ausnahmefällen vorgeschrieben.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Auf der Verpackung findet sich meist lediglich der Sitz des Unternehmens oder die Adresse einer europäischen Niederlassung. Wo die tatsächliche Produktion stattfindet und woher die einzelnen Komponenten stammen, bleibt dem Verbraucher verborgen. Besonders problematisch ist dabei die Tatsache, dass Hersteller nicht verpflichtet sind, die Zusammensetzung der Kaumasse anzugeben. Diese Intransparenz ist umso bedenklicher, als Kaugummi zu den am häufigsten konsumierten Süßwaren gehört.
Komplexe Lieferketten über mehrere Kontinente
Die Herstellung von Kaugummi ist ein globales Geschäft mit verzweigten Lieferketten. Die Kaumasse selbst basiert heute meist auf synthetischen Polymeren, die aus petrochemischen Grundstoffen hergestellt werden. Diese Rohstoffe stammen häufig aus der chemischen Industrie, wo sie in spezialisierten Fabriken produziert werden. Die am häufigsten verwendeten Elastomere sind Styrol-Butadien-Kautschuk und Polyisobutylen, die beide aus Erdöl abgeleitet sind.
Tatsächlich enthalten die meisten modernen Kaugummis, wenn überhaupt, nicht mehr als fünf bis sieben Prozent natürliche Kaumasse. Der Rest besteht aus petrochemischen Polymeren. Diese Entwicklung begann bereits in den 1950er Jahren, als natürliche Produkte wie Chicle nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung standen und durch synthetische Alternativen ersetzt wurden. Die traditionelle Kaumasse bestand zu Beginn der industriellen Kaugummiherstellung fast ausschließlich aus Chicle, dem Saft des Breiapfelbaums. Bereits die Azteken und Maya kauten diesen natürlichen Rohstoff. Heute ist diese natürliche Variante die Ausnahme, nicht die Regel.
Produktionsstandorte: Oft außerhalb Europas
Selbst wenn ein Unternehmen seinen Hauptsitz in Europa hat, bedeutet das keineswegs, dass die Produktion hier stattfindet. Viele Kaugummis werden in Osteuropa, der Türkei oder sogar in Asien hergestellt und anschließend nach Deutschland importiert. Der Grund liegt auf der Hand: niedrigere Produktionskosten und weniger strenge Umweltauflagen. Besonders bei Eigenmarken des Handels ist die Rückverfolgbarkeit schwierig. Diese werden oft von wechselnden Auftragsproduzenten hergestellt, was bedeutet, dass die gleiche Packung zu unterschiedlichen Zeiten aus verschiedenen Fabriken stammen kann.
Welche Inhaltsstoffe sind besonders problematisch?
Neben der grundsätzlichen Intransparenz gibt es spezifische Inhaltsstoffe, deren Herkunft aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen relevant sein könnte. Die Kaumasse selbst ist dabei ein zentraler Punkt. Während früher Naturkautschuk aus tropischen Regionen verwendet wurde, setzen moderne Hersteller fast ausschließlich auf synthetische Alternativen. Diese werden aus Erdölderivaten gewonnen – eine Tatsache, die vielen Verbrauchern nicht bewusst ist.
Farbstoffe stellen ein weiteres Problem dar. Bestimmte Azofarbstoffe, die in manchen Ländern noch erlaubt sind, können allergische Reaktionen auslösen. Ohne klare Herkunftsangaben ist schwer nachzuvollziehen, nach welchen Standards diese Zusatzstoffe produziert wurden. In der EU gelten zwar strenge Grenzwerte, doch die Kontrollen bei importierten Vorprodukten sind begrenzt. Auch Lecithin wird häufig aus gentechnisch verändertem Soja hergestellt, ohne dass dies auf der Verpackung ersichtlich wäre. Die Herkunft dieser Zusatzstoffe bleibt in der Regel völlig im Dunkeln.

Was bedeutet „Hergestellt in Deutschland“?
Selbst wenn auf einer Packung „Hergestellt in Deutschland“ steht, ist das keine Garantie dafür, dass alle Inhaltsstoffe aus Deutschland stammen. Die Formulierung bezieht sich lediglich auf den Ort, an dem die Endfertigung stattgefunden hat. Die einzelnen Komponenten können trotzdem aus aller Welt zusammengekauft worden sein. Diese Kennzeichnung ist rechtlich zulässig und wird von vielen Herstellern genutzt, um Qualität und Vertrauen zu suggerieren. Für den Verbraucher entsteht dadurch ein falsches Bild der tatsächlichen Wertschöpfungskette.
Wie können Verbraucher mehr Transparenz einfordern?
Trotz der schwierigen Informationslage gibt es Möglichkeiten, sich als Verbraucher Gehör zu verschaffen. Der direkte Kontakt zum Hersteller ist ein erster Schritt. Konkrete Fragen zur Herkunft einzelner Inhaltsstoffe und zu Produktionsstandorten zeigen Interesse und Nachfrage nach Transparenz. Verbraucherzentralen bieten zudem Beratung und nehmen Beschwerden entgegen. Wenn viele Verbraucher ähnliche Anfragen stellen, erhöht das den Druck auf die Industrie.
Alternative Produkte in Betracht ziehen
Der Markt für Kaugummi verändert sich langsam. Kleinere Hersteller setzen zunehmend auf natürliche Zutaten und transparente Lieferketten. Diese Produkte sind oft teurer, bieten aber deutlich mehr Informationen über Herkunft und Produktionsbedingungen. Wer bereit ist, etwas mehr zu investieren, findet mittlerweile Kaugummis auf Basis von Chicle-Naturkautschuk aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Einige Beispiele zeigen, dass es anders geht:
- Chicza wird auf traditionelle Weise aus Chicle hergestellt und ist zu hundert Prozent biologisch abbaubar. Die Maya haben den Saft des Chicozapote-Baums schon vor tausenden von Jahren gekaut.
- True Gum besteht ebenfalls aus Chicle und ist vegan sowie biologisch abbaubar.
- Alpengummi verwendet Kaumasse aus heimischem Föhrenharz und Bienenwachs, hergestellt in Österreich.
Auch bei den Süßungsmitteln gibt es Alternativen: Xylit aus europäischer Produktion oder Stevia aus kontrolliertem Anbau sind Beispiele für transparentere Inhaltsstoffe. Solche Produkte sind zwar nicht im Discounter zu finden, aber in Reformhäusern und spezialisierten Online-Shops zunehmend verfügbar.
Der Blick hinter die Kulissen lohnt sich
Die mangelnde Transparenz bei Kaugummi-Herkunftsangaben ist kein Einzelfall, aber besonders ausgeprägt. Als Verbraucher haben wir das Recht zu wissen, was wir konsumieren und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Die aktuelle Praxis vieler Hersteller, nur das rechtlich Notwendigste preiszugeben, ist unbefriedigend. Durch bewusste Kaufentscheidungen und aktives Nachfragen können wir jedoch Veränderungen anstoßen. Unternehmen reagieren auf Markttrends, und eine wachsende Nachfrage nach Transparenz wird langfristig zu offeneren Produktionsketten führen. Bis dahin bleibt kritisches Hinterfragen und der Vergleich verschiedener Produkte die beste Strategie für informierte Verbraucher.
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