Was bei 65 Prozent aller Essiggurken-Gläser verschwiegen wird: So schützen Sie sich vor versteckten Billig-Zutaten

Warum Verkaufsbezeichnungen bei eingelegtem Gemüse besonders tückisch sind

Eingelegtes Gemüse zählt zu den Produkten, bei denen Hersteller erstaunlich kreativ mit Verkaufsbezeichnungen umgehen. Wer im Supermarkt nach Essiggurken, Mixed Pickles oder Rotkohl greift, verlässt sich meist auf das, was vorne auf dem Etikett steht. Genau dort beginnt aber häufig eine Irreführung, die den meisten Verbrauchern gar nicht bewusst ist. Die Bezeichnungen klingen appetitlich und traditionell, verschleiern aber oft, was tatsächlich im Glas steckt. Das Problem reicht von kreativ umschriebenen Zutaten bis hin zu Begriffen, die gesetzlich nicht geschützt sind und deshalb nach Belieben eingesetzt werden.

Anders als bei frischem Obst und Gemüse, für das Herkunftsangaben in der EU gesetzlich vorgeschrieben sind, entfällt diese Kennzeichnungspflicht bei verarbeitetem Gemüse größtenteils. Unternehmen müssen lediglich ihre eigene Adresse angeben, nicht aber den Ursprung der Rohstoffe. Eine österreichische Untersuchung des Branchenverbands für Obst und Gemüse zeigt das Ausmaß: Bei der Überprüfung von 92 verschiedenen Essiggurken-Produkten im Wiener Lebensmittelhandel fehlte bei rund 65 Prozent der Gläser die Angabe zur Gurkenherkunft komplett. Diese Lücke nutzen Hersteller gezielt aus, um mit emotionalen Bezeichnungen und geschickter Verpackungsgestaltung ein bestimmtes Qualitätsversprechen zu suggerieren.

Besonders problematisch wird es, wenn Bezeichnungen eine bestimmte Herstellungsweise suggerieren, die in Wirklichkeit nicht angewendet wurde. Formulierungen, die Handarbeit und althergebrachte Rezepturen versprechen, während das Produkt industriell in Großanlagen gefertigt wurde, zielen darauf ab, eine Nähe zu authentischen, hochwertigen Produkten herzustellen, ohne die damit verbundenen Standards erfüllen zu müssen.

Die häufigsten Täuschungsstrategien bei der Benennung

Verschleierung minderwertiger Zutaten

Eine gängige Methode besteht darin, minderwertige oder günstigere Gemüsesorten hinter blumigen Bezeichnungen zu verstecken. Eingelegtes Gemüse, das verschiedene Sorten mischt, wird oft mit fantasievollen Namen versehen, die den Fokus auf eine hochwertige Zutat lenken, obwohl diese nur einen Bruchteil des Inhalts ausmacht. Eine Bezeichnung mit prominentem Paprika-Bezug kann bedeuten, dass hauptsächlich Gurken oder Zwiebeln enthalten sind, während Paprika nur als Aromageber dient. Die Zutatenliste gibt darüber Auskunft, doch die wenigsten Verbraucher nehmen sich die Zeit, diese mit dem Produktnamen abzugleichen.

Herkunftstäuschung durch Gestaltung

Auch wenn die eigentliche Herkunft im Kleingedruckten korrekt angegeben sein mag, suggerieren Verpackungsdesigns und Produktnamen oft eine andere Herkunft. Die Kennzeichnung „Hergestellt in Deutschland“ bedeutet häufig nur die Abfüllung, nicht die Rohstoffherkunft. Nationale Symbole und Alpenromantik auf dem Etikett erwecken den Eindruck heimischer Produktion, während das Gemüse aus Fernost stammt. Bei Essiggurken wurden als Abfüllländer neben Österreich auch Deutschland und die Türkei genannt, während Deutschland als tatsächliches Herkunftsland der Gurken nur bei fünf Prozent der Produkte vertreten war. Diese Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität nutzen Hersteller systematisch aus.

Qualitätsvortäuschung durch unspezifische Begriffe

Begriffe wie „Auslese“, „Selection“ oder „Premium“ unterliegen keiner gesetzlichen Definition bei eingelegtem Gemüse. Hersteller können sie beliebig einsetzen, ohne dass das Produkt besondere Qualitätskriterien erfüllen muss. Ein als Premium beworbener Rotkohl unterscheidet sich inhaltlich möglicherweise in keiner Weise von der Standardvariante desselben Herstellers – außer im Preis. Solche Bezeichnungen funktionieren rein über die Wahrnehmung und das damit verbundene Qualitätsversprechen, das faktisch nicht eingelöst werden muss.

Konkrete Beispiele aus dem Supermarktregal

Schauen wir uns typische Irreführungen genauer an: Produktbezeichnungen, die einen bestimmten Biss und Frische versprechen, erwecken den Eindruck besonderer Qualität. Die tatsächliche Konsistenz kann jedoch durch Zusatzstoffe künstlich erzeugt worden sein. Solche Beschreibungen sind nicht definiert und daher beliebig verwendbar.

Bezeichnungen wie „Balkangemüse“ oder „Mediterrane Gemüsemischung“ klingen nach authentischen Rezepturen aus bestimmten Regionen. In Wahrheit handelt es sich meist um Standardmischungen, die lediglich mit regional typischen Gewürzen versetzt wurden. Die eigentliche Zusammensetzung hat oft wenig mit traditionellen Rezepten zu tun. Auch Begriffe, die an bäuerliche Herkunft erinnern, werden kreativ eingesetzt. Diese Bezeichnungen erwecken Bilder von kleinen Höfen und sorgfältiger Handarbeit. Die Produktion erfolgt jedoch in industriellen Anlagen mit automatisierten Prozessen. Der vermeintliche traditionelle Stil bezieht sich bestenfalls auf die Gewürzmischung, nicht auf die Herstellungsweise.

Rechtliche Situation und neue Entwicklungen

Die Lebensmittelinformationsverordnung schreibt vor, dass Bezeichnungen nicht irreführend sein dürfen, doch die Auslegung dieses Grundsatzes lässt enormen Spielraum. Erst wenn eine Täuschung nachweislich und erheblich ist, greifen Kontrollbehörden ein. Bei blumigen Umschreibungen und emotionalen Begriffen bewegen sich Hersteller meist in einem rechtlichen Graubereich, der schwer zu fassen ist. Das Problem verschärft sich, weil Verbraucher nur selten gegen irreführende Bezeichnungen vorgehen. Der einzelne Glaskauf rechtfertigt den Aufwand einer Beschwerde nicht, und so etablieren sich fragwürdige Praktiken als Industriestandard.

Allerdings hat sich die Situation seit dem 1. Januar 2025 verändert. Neue EU-Regelungen führen schärfere Vorgaben zur Ursprungslandskennzeichnung für verschiedene Erzeugnisgruppen ein, insbesondere für Trockenfrüchte, Nüsse und küchenfertige Produkte. Diese Entwicklung zeigt, dass der Gesetzgeber auf die Problematik reagiert, auch wenn eingelegtes Gemüse noch nicht vollständig erfasst ist. Verbraucherschutzorganisationen können zwar einzelne Produkte beanstanden, doch bei der Fülle an Produkten ist das ein Kampf gegen Windmühlen.

So durchschauen Verbraucher die Tricks

Zutatenliste statt Produktname als Orientierung

Die zuverlässigste Information liefert die Zutatenliste. Sie ist in absteigender Reihenfolge nach Gewichtsanteil geordnet und gibt ungeschönt Auskunft über die Zusammensetzung. Wenn bei einem Produkt mit Paprika-Bezug an erster Stelle Gurken stehen, ist die Priorität klar. Bezeichnungen auf der Vorderseite sollten immer mit der Zutatenliste abgeglichen werden. Diese Vorgabe zur Reihenfolge ist rechtlich verankert und bietet Verbrauchern eine verlässliche Grundlage für informierte Entscheidungen. Die Zutatenliste verrät auch, ob Zusatzstoffe wie Festigungsmittel oder Geschmacksverstärker zum Einsatz kommen.

Kritischer Blick auf emotionale Begriffe

Wann immer Begriffe wie „Tradition“, „Art“, „Stil“ oder „wie früher“ auftauchen, ist Skepsis angebracht. Diese Formulierungen sind rechtlich kaum geschützt und dienen meist der emotionalen Kundenbindung ohne faktische Grundlage. Gleiches gilt für nicht definierte Qualitätsbegriffe ohne Zertifizierung. Wer sich davon nicht blenden lässt und stattdessen auf die harten Fakten schaut, trifft bessere Kaufentscheidungen.

Herkunftsangaben genau prüfen

Die tatsächliche Herkunft steht oft unauffällig auf der Rückseite oder am Boden des Glases. Verbraucher müssen regelrechte Detektivarbeit leisten, um sie zu finden. Verpackungsdesigns und Namen sind keine verlässlichen Indikatoren. Wer regionale Produkte kaufen möchte, muss explizit nach geschützten Herkunftsbezeichnungen oder konkreten Angaben zum Produktionsort suchen. Manchmal enthalten Losnummern Codes zum Produktionsland, doch dies erfordert Fachwissen, das dem durchschnittlichen Verbraucher nicht zur Verfügung steht.

Welche Forderungen Verbraucherschützer stellen

Verbraucherschutzverbände fordern seit Jahren klarere Regelungen. Konkret geht es um die Definition bestimmter Qualitätsbegriffe und die Einschränkung emotionaler Umschreibungen, die keine faktische Grundlage haben. Auch eine prominentere Platzierung der Herkunftsangabe wird gefordert, sodass sie nicht im Kleingedruckten versteckt werden kann. Ein weiterer Ansatz betrifft die bildliche Darstellung. Wenn auf der Verpackung bestimmtes Gemüse prominent abgebildet ist, sollte dieses auch einen Mindestanteil am Produkt haben müssen. Derzeit dürfen Hersteller Paprikaschoten in Großaufnahme zeigen, auch wenn nur Spuren davon enthalten sind.

Praktische Tipps für den bewussten Einkauf

  • Vergleichen Sie bei ähnlich klingenden Produkten systematisch die Zutatenlisten – oft verbergen sich hinter unterschiedlichen Namen identische Zusammensetzungen mit Preisunterschieden
  • Fotografieren Sie irreführende Beispiele und melden Sie diese an Verbraucherzentralen – so tragen Sie zur Dokumentation problematischer Praktiken bei
  • Achten Sie auf Prozentangaben bei besonderen Zutaten – wenn diese freiwillig angegeben werden, kann das ein Zeichen für Transparenz sein
  • Bevorzugen Sie Produkte mit klaren, nüchternen Bezeichnungen – „Eingelegte Gurken“ ist ehrlicher als blumige Umschreibungen mit Bezug zu Bauernhöfen oder Gärten

Die Verantwortung liegt nicht allein bei den Verbrauchern. Solange Gesetzgeber und Kontrollinstanzen den Herstellern viel Spielraum bei Verkaufsbezeichnungen lassen, bleibt die Situation herausfordernd. Die neuen EU-Regelungen zur Ursprungslandskennzeichnung zeigen jedoch, dass Bewegung in die richtige Richtung stattfindet. Ein geschärfter Blick hilft dennoch, die gröbsten Täuschungen zu erkennen und Kaufentscheidungen auf Fakten statt auf Marketing zu stützen. Eingelegtes Gemüse ist ein alltägliches Produkt, doch die Art, wie es benannt und beworben wird, zeigt exemplarisch die Schwächen unseres Systems der Lebensmittelkennzeichnung. Wer die Mechanismen kennt, kann sich besser schützen und bewusster einkaufen.

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