Was ist Shrinkflation und wie erkennt man sie?
Beim wöchentlichen Einkauf erwarten Verbraucher eine bestimmte Menge für ihr Geld. Doch ein Phänomen macht sich in deutschen Supermarktregalen breit: Die Preise bleiben stabil oder steigen moderat, während sich die tatsächliche Füllmenge still und leise verringert. Diese Strategie trägt einen Namen – Shrinkflation – und betrifft mittlerweile zahlreiche Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Shrinkflation ist in Deutschland nicht illegal, was Hersteller geschickt ausnutzen, um ihre Gewinnmargen zu schützen.
Wie funktioniert die versteckte Preiserhöhung?
Die Strategie ist so simpel wie effektiv: Hersteller reduzieren die Nettofüllmenge ihrer Verpackungen, während die Preise konstant bleiben oder nur minimal angepasst werden. Aus einer 100-Gramm-Tafel Schokolade werden plötzlich 90 Gramm, aus 750 Gramm Müsli werden 650 Gramm. Die Verpackung selbst bleibt oft äußerlich identisch groß, sodass der Unterschied im Supermarktregal kaum auffällt. Das Ergebnis: Der Grundpreis pro Kilogramm oder pro 100 Gramm steigt deutlich, ohne dass dies für viele Käufer sofort erkennbar wird.
Ein besonders drastisches Beispiel liefert Milka Alpenmilch: Die klassische Tafel schrumpfte von 100 auf 90 Gramm, während der Preis von 1,49 Euro auf 1,99 Euro stieg. Das entspricht einer Preiserhöhung von 48 Prozent – während Schokolade laut Statistischem Bundesamt im gleichen Zeitraum nur etwa 8 Prozent teurer wurde. Für diese dreiste Praxis erhielt das Produkt 2025 den Goldenen Windbeutel, einen Negativpreis für die dreisteste Werbelüge des Jahres, bei dem über 58.000 Verbraucher abstimmten.
Welche Produkte sind besonders betroffen?
Die dokumentierten Fälle von Shrinkflation konzentrieren sich vor allem auf verarbeitete Lebensmittel und Markenprodukte. Verbraucherzentralen und Organisationen wie Foodwatch führen öffentliche Listen mit besonders auffälligen Beispielen. Die Palette reicht von Süßwaren über Frühstücksprodukte bis zu Fertiggerichten. Schokolade und Müsli gehören zu den absoluten Spitzenreitern dieser unrühmlichen Statistik, dicht gefolgt von Fertigsoßen, Kaffee und Käseprodukten.
Besonders perfide wird es, wenn Hersteller die Reduzierung mit einem Relaunch der Verpackung kombinieren. Ein neues Design lenkt vom geschrumpften Inhalt ab, und Kunden greifen wie gewohnt zu, ohne den Unterschied zu bemerken. Mars Minis, Vitalis Müsli, Maggi Würzmittel, Jacobs Kaffee und Philadelphia Frischkäse sind nur einige prominente Namen, die bereits negativ aufgefallen sind.
So erkennen Sie versteckte Preissteigerungen beim Einkauf
Der wichtigste Verbündete beim Kampf gegen Shrinkflation ist der Grundpreis, auch Kilopreis genannt. Dieser muss laut Preisangabenverordnung auf dem Preisschild im Regal ausgewiesen sein und zeigt den Preis pro Kilogramm oder pro Liter. Nur dieser Wert ermöglicht einen echten Preisvergleich zwischen verschiedenen Packungsgrößen und Anbietern. Wer sich beim Einkauf auf den Blickpreis verlässt, tappt garantiert in die Shrinkflation-Falle.
Wer regelmäßig die gleichen Produkte kauft, sollte sich die typischen Packungsgrößen einprägen. Eine Müslipackung, die normalerweise 750 Gramm enthielt, wiegt beim nächsten Einkauf vielleicht nur noch 650 Gramm – ein Unterschied, der schnell übersehen wird, wenn man nicht aufmerksam ist. Fotografieren Sie gelegentlich die Preisschilder Ihrer Standardprodukte mit dem Smartphone. So haben Sie einen direkten Vergleichswert beim nächsten Einkauf und können Veränderungen beim Grundpreis sofort erkennen.
Warnsignale im Supermarktregal
Achten Sie besonders auf Formulierungen wie „Neue Packungsgröße“ oder „Jetzt im neuen Design“ – diese können Hinweise auf veränderte Füllmengen sein. Auch wenn die Verpackung plötzlich moderner aussieht oder ein neues Layout erhält, lohnt sich ein genauer Blick auf die Grammangabe. Hersteller investieren nicht grundlos in teure Redesigns, sondern nutzen diese oft als Deckmantel für Mengenreduzierungen.

Die rechtliche Situation und Ihre Rechte
Hersteller und Händler sind lediglich verpflichtet, die korrekte Nettofüllmenge deutlich lesbar auf der Verpackung anzugeben. Eine Pflicht, Verbraucher aktiv auf Mengenreduzierungen hinzuweisen, besteht nicht. Diese Grauzone wird systematisch ausgenutzt. Verbraucherzentralen fordern seit Jahren eine deutlichere Kennzeichnungspflicht bei Mengenänderungen.
Im deutschen Koalitionsvertrag ist verankert, dass sich die Regierung für mehr Transparenz bei versteckten Preiserhöhungen einsetzen soll. In Frankreich müssen Supermärkte bereits seit Sommer 2024 versteckte Preiserhöhungen kenntlich machen – ein Modell, das auch hierzulande diskutiert wird, bislang aber nicht umgesetzt wurde. Die Verbraucherzentralen setzen sich zudem dafür ein, dass jede Verpackung bis zum Rand oder zur Naht gefüllt sein sollte. Große, halbvolle Verpackungen täuschen Verbraucher zusätzlich über die tatsächliche Menge.
Langfristige Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten
Shrinkflation untergräbt das Vertrauen zwischen Verbrauchern und Lebensmittelwirtschaft. Wer sich getäuscht fühlt, wechselt die Marke oder weicht auf günstigere Alternativen aus. Besonders problematisch wird es, wenn die Mengenreduzierung so weit geht, dass gängige Rezepte nicht mehr mit einer Standardpackung zubereitet werden können.
Eine Familie, die sonntags traditionell backt und dafür eine bestimmte Menge Schokolade benötigt, muss plötzlich mehr Tafeln kaufen – was den tatsächlichen Preisanstieg noch drastischer macht als ohnehin schon. Diese versteckte Mehrbelastung trifft besonders Haushalte mit knappem Budget, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Die psychologische Wirkung sollte nicht unterschätzt werden: Verbraucher fühlen sich bewusst getäuscht, was langfristig zu Markenwechseln und Kaufboykotten führen kann.
Was Verbraucher aktiv tun können
Dokumentieren Sie auffällige Fälle von Shrinkflation und melden Sie diese den Verbraucherzentralen. Die Verbraucherzentrale Hamburg akzeptiert Meldungen schriftlich oder per Hotline. Idealerweise sollten Fotos des Kassenbelegs sowie des alten und neuen Produkts mitgeschickt werden. Je mehr Daten über diese Praktiken gesammelt werden, desto größer wird der Druck auf Politik und Handel, gegenzusteuern.
Nutzen Sie Ihre Kaufkraft als Instrument: Produkte, bei denen Sie Shrinkflation bemerken, können Sie bewusst durch Alternativen ersetzen. Teilen Sie Ihre Beobachtungen in sozialen Netzwerken – Transparenz schafft Bewusstsein und kann Anbieter zum Umdenken bewegen. Die Verbraucherzentrale Hamburg ist in dieser Hinsicht bereits aktiv geworden und reichte im September 2025 Klage gegen den Milka-Hersteller Mondelez ein. Der Vorwurf lautet auf bewusste Verbrauchertäuschung, da die Verpackung unverändert wirkt, der Inhalt aber um zehn Prozent schrumpfte.
Der Blick in die Zukunft
Mit steigendem Bewusstsein für Shrinkflation wächst auch der Widerstand dagegen. Erste Handelsketten experimentieren mit Eigenmarken, die bewusst auf konstante Füllmengen setzen und dies als Qualitätsmerkmal bewerben. Auch digitale Hilfsmittel wie Apps zum Preisvergleich integrieren zunehmend Funktionen, die Mengenänderungen automatisch erkennen und anzeigen.
Die Macht liegt letztlich bei den Verbrauchern selbst. Wer informiert einkauft, Grundpreise vergleicht und sich nicht von großen Verpackungen täuschen lässt, kann sich vor versteckten Preissteigerungen schützen. Aufmerksamkeit beim Einkauf zahlt sich aus – denn nur wer genau hinsieht, erhält auch wirklich das, wofür er bezahlt.
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